Wenn die Temperaturen allmählich sinken, die Blätter von den Bäumen fallen und Allerheiligen vor der Tür steht, weiß man eines: Der Herbst ist nun endgültig da! Für die einen eine gemütliche Zeit im warmen Zuhause mit Apfelstrudel, Tee und einem guten Buch, ist andere der Herbst vor allem eine Zeit des Loslassens.
Im Volksgebrauch ist die herbstliche Jahreszeit mit dem Gedenken an Verstorbene und der Beschäftigung mit dem Tod verbunden; Bereits in der Zeit der Kelten und Germanen entstand der Glaube, der Schleier zwischen den Lebenden und den Toten sei in den Tagen rund um Halloween, Allerheiligen und Allerseelen besonders dünn und durchlässig. Auch die blühende Natur des Sommers scheint um uns herum „zu sterben“, die Nächte werden wieder länger, die Tage kürzer. So weit, so logisch. Und logisch erscheint zunächst auch, dass das Nachdenken über den Tod nur natürlich und sogar ein wichtiger Bestandteil der Selbstreflexion ist – gehört er doch immerhin unweigerlich zum Leben!
Tatsache ist jedoch: Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Tod. Immerhin vereinen sich im Tod uralte Grundängste des Menschen: die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Übergang in etwas Neues, vor dem Bedrohlichen, dem Unausweichlichen und Unkontrollierbaren – Unsere angeborene „Todesangst“ ist gleichzeitig Teil unseres Selbsterhaltungstriebes und ein Schutz in vielen Gefahrensituationen. Trotzdem werden Gespräche über den Prozess des Sterbens und der folgenden Trauer meist bewusst vermieden. Über die eigene Beerdigung nachzudenken, gilt in der Gesellschaft als Tabu.
Bis zu einem gewissen Grad ist diese Verdrängung auch sinnvoll: Würden wir unaufhörlich nur an die Unausweichlichkeit des Todes und die stets vorhandene Möglichkeit eines vorzeitigen Ablebens denken, würden wir wortwörtlich in ständiger Todesangst leben und es schlussendlich – ironischerweise – verpassen, unser Leben zu leben. Ähnlich verhält es sich mit den vielen Tabus, die das Thema Tod und Verstorbene umgeben. Natürlich ist ein respektvoller Umgang angebracht, doch wie viel Tabuisierung und Vermeidungsverhalten sind wirklich sinnvoll?
Auch wenn Ängste Teil unseres Lebens sind: Wenn sich Gedanken zu festgefahrenen Mustern entwickeln und Gedankenspiralen zu ständigen Begleitern werden, können sie stark belasten und der eigenen Zufriedenheit im Weg stehen. Dann ist es Zeit, sich bewusst mit dem Thema Tod und Sterben auseinanderzusetzen, um sich der Angst zu stellen. Denn nur was man intensiver kennenlernt, kann nach und nach seine Bedrohlichkeit verlieren. Christine Pernlochner-Kügler gibt zu Bedenken, dass es für jede Situation eine passende Lösung gibt: So ist zum Beispiel der Unterschied bedeutend, ob man vor dem eigenen Tod oder dem Ableben eines geliebten Menschen Angst hat, oder vor einem Toten an sich.
Die Bestatterin und Buchautorin rät Menschen mit „Todesangst“, sich langsam an das Thema Verlust, Sterben und Tod heranzutasten. Sich aufmerksam mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen, eigene Tabus zu überdenken und Grenzen zu hinterfragen, Ängste zu Ende zu denken und sich selbst ein Stück mehr zu verstehen. In ihrem Buch „Du stirbst nur einmal, leben kannst du jeden Tag“ erzählt sie von ihren ersten Begegnungen mit Verstorbenen, Anekdoten aus dem Alltag als Bestatterin und von den vielen Facetten, die der Tod mit sich bringen kann. Besonders inspirierend sind die Geschichten von Menschen, die durch den Verlust eines geliebten Angehörigen dem Tod wortwörtlich in die Augen schauen und ihn anschließend als Teil des Lebens annehmen konnten – ganz ohne Furcht!
Letztendlich gehört der Tod unweigerlich zum Leben dazu. Es ist daher absurd, ihm seinen Platz in unserer Gesellschaft nicht einzuräumen. Wir sollten den Tod mehr ins Leben integrieren, sagt Christine Pernlochner-Kügler:
„Manche Tabus müssen aber hinterfragt werden, vor allem dann, wenn sie das Leben durch den Anschein von „Heiligkeit“ erschweren und durch eine Atmosphäre erhöhter „Ehrfurcht“ – die auch eine Form der Furcht ist – Grundängste verstärken. Unseren verkorksten und unnatürlichen Umgang mit unserer Endlichkeit zu hinterfragen, das Todestabu zu brechen oder zumindest zu lockern, unsere Sterblichkeit anzunehmen und diesen Themenkomplex wieder salonfähig zu machen, ist die Motivation der Death-positive-Bewegung.“
Gesellschaftlich eingelernte Grundregeln wie „Über den Tod spricht man nicht, das bringt nur Unglück“, „Bei einer Beerdigung darf man nicht lachen“ oder „Ein Toter im Haus bedeutet Pech“ sollen in der Death-positive-Bewegung hinterfragt und mit missverständlichem Aberglauben aufgeräumt werden. In der Gesellschaft findet die Bewegung langsam Anklang, das Thema stößt auf Interesse. So entstehen derzeit beispielsweise sogenannte „Death Cafés“, also Kaffeehäuser, in denen man miteinander essen, trinken, lachen und ungezwungen und ohne Tabus über den Tod sprechen kann. Dadurch soll mehr Bewusstsein und die Möglichkeiten für ein aktives Zugehen auf das Thema geschaffen werden.
In diesem Sinne: Es lebe der Tod!
Noch mehr „bewusstes Lesen“ zum Thema Death Positive können Sie mit dem Buch „Du stirbst nur einmal, leben kannst du jeden Tag“ von Christine Pernlochner-Kügler.
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Quellen:
Bauer-Thoeming: „Gedenke des Todes – Memento mori“. Zugriff am 28.10.2021: Gedenke des Todes – Memento mori – RÖSRATHerleben (bauer-thoeming.de)
Pernlochner-Kügler, Christine (2021): „Du stirbst nur einmal, Leben kannst du jeden Tag – Eine Bestatterin erzählt“, Goldegg Verlag: https://www.goldegg-verlag.com/titel/du-stirbst-nur-einmal-leben-kannst-du-jeden-tag/